Mit einigen Wochen Verspätung, aber nicht weniger von Herzen, sende ich Ihnen allen nun
endlich meinen zweiten Newsletter. Seit meinem letzten Schreiben sind so viele spannende
Dinge geschehen, und ich freue mich, Ihnen darüber berichten zu können. Bevor ich dazu
komme, möchte ich mich jedoch ganz herzlich bei Ihnen allen bedanken: Immer wieder
wurde ich von verschiedenen Personen ermutigt. Ich habe Unterstützung in Form von
liebevollen Gedanken, Gebeten, finanzieller Hilfe, grossartigen Ideen für meine
Aufklärungsarbeit und herzensguter Anteilnahme erfahren. Dafür ein ganz herzliches
Dankeschön!

Im letzten Newsletter habe ich Ihnen mitgeteilt, dass ich einen neuen Aufenthaltsort
gefunden habe und darauf hoffe, endlich wieder ein wenig Wurzeln zu schlagen. Tatsächlich
lebe ich nun schon seit 10 Monaten hier und traue mich mittlerweile zu sagen, dass ich
wieder in der Schweiz bin, nachdem ich einige Jahre im Ausland verbracht habe. Damals war ich geflüchtet, da ich an meinem Wohnort und auf anderen Wegen bedroht wurde, weil ich begann, öffentlich über meine Erlebnisse im Kult zu sprechen. Vor ein paar Monaten habe ich den Mut gefunden, wieder in die Schweiz zu ziehen.

Meine öffentliche Arbeit macht mich zunehmend bekannter, und ich gewinne immer mehr
Selbstvertrauen. Durch meine wachsende Bekanntheit fühle ich mich auch geschützter als
noch vor ein bis zwei Jahren. Seit meiner Rückkehr in die Schweiz haben sich einige neue
Türen geöffnet: Eine dieser Türen heisst:

Les SURvivantes

„Les SURvivantes“ (auf Deutsch: „Die Überlebenden“) ist ein Dokumentarfilm von Pierre
Barnérias, einem französischen Journalisten und Regisseur. In diesem Film gibt er acht
überlebenden Frauen eine Stimme. Pierre hat auch mich interviewt und mit seinem
Filmteam einige Tatorte besucht und gefilmt. Seither erhalte ich viel mehr Rückmeldungen,
E-Mails und Nachrichten von Menschen, die durch den Film und mein Zeugnis berührt und
erschüttert sind. Für andere gibt es Bestätigung: Bestätigung für das, was sie selbst erlebt
haben. Oft stellen wir nach Vorpremieren, bei denen ich oder andere „SURvivantes“
anwesend sind, die Frage, ob im Publikum Betroffene sind. Die Antwort ist immer positiv –
das ist erschreckend. Es gibt so viele Menschen, die Gewalt erfahren haben! Durch diese
Dokumentation entsteht eine Art „Me too“ für Betroffene ritueller Gewalt.

Ich trage schon lange eine Vision in mir, die wie ein Dominospiel aussieht: Immer mehr
Betroffene erheben sich und finden den Mut, ihre Stimme zu erheben. Das geschah bereits
durch das Projekt 50voices.org (welches ich im letzten Newsletter vorgestellt hatte wovon
ich die Repräsentantin im deutsch und französischsprachigem Raum bin) und geht nun
weiter.

Die Dokumentation „Les SURvivantes“ ist in ausgewählten Kinos in Frankreich, Belgien, der
Schweiz, Kanada und bald auch in den USA zu sehen. Während ich diesen Newsletter
schreibe, wird der Film gerade ins Deutsche übersetzt, sodass er bald auch in Deutschland
und der deutschsprachigen Schweiz gezeigt werden kann. Es gibt zur Zeit keine Werbung für
den Film – alles läuft über persönliche Beziehungen. Es haben sich Gruppen gebildet, die den

Film unterstützen. Menschen kommen miteinander in Kontakt, tauschen sich über die
Thematik aus und überlegen gemeinsam, was zu tun ist und wie man helfen kann. Der Film
schafft Verbindungen zwischen den Menschen.

Als der Film in einige Kinos in die Westschweiz kam, begann für mich eine Odyssee, die viel
Arbeit bedeutete, aber auch sehr erfüllend war. Er wurde unter anderem in kleinen Städten
und Orten gezeigt wo ich aufwuchs und rituelle Gewalt er(über)lebt habe. Für mich bedeutet
es sehr viel: damals musste ich dort viel Gewalt ertragen aber heute öffnen sich die Türen und ich bekomme die Möglichkeit zurück zu gehen um Licht in diese dunkle Finsternis zu
machen. Ich besuchte die Vorpremieren in verschiedenen Städten und führte nach der
Ausstrahlung als einzige Schweizer Protagonistin mit den Zuschauern eine Debatte über das
Thema rituelle Gewalt. Dabei hatte ich viele interessante und berührende Begegnungen und
bin überzeugt, dass es noch viele weitere geben wird. Warum? Wie bereits erwähnt: Der
Film schafft Verbindungen. Die Menschen sind berührt, es gibt ein „Vorher“ und ein
„Nachher“. Für viele ist es äusserst erschütternd zu erfahren, dass es ein pädokriminelles
Netzwerk praktisch vor ihrer Haustür gibt oder gab. Viele stehen auf und überlegen, wie sie
unterstützen können.

Der Film wird weiterhin in der Schweiz zu sehen sein. Auf lessurvivantes-lefilm.com kann
man nachschauen, in welchen Kinos der Film läuft.

Eine weitere Tür hat sich auch bereits geöffnet:

VORTRÄGE IN DER DEUTSCHEN SCHWEIZ

In diesen Vorträgen mit PowerPoint-Präsentation gebe ich grundlegende Informationen über
rituelle Gewalt und ihre Strukturen und beantworte Fragen. Bisher fanden diese
Veranstaltungen in kleinen, privaten Rahmen statt, ohne große Werbung. Ich habe das große
Glück, von einem kleinen Team aus zwei wunderbaren Ehepaaren unterstützt zu werden. Sie
übernehmen die gesamte Organisation, laden die Menschen ein und sorgen für mein
Wohlbefinden und meine Sicherheit.

Diese Vorträge haben den Vorteil, dass ich sehr nah bei den Menschen sein kann. Wir
tauschen uns bei einer Tasse Kaffee aus, und es können Fragen gestellt werden. Es
entstehen Gespräche und ein wertvoller Austausch, und oft können auch Vorbehalte von
Skeptikern geklärt werden. Ein respektvoller Austausch mit Skeptikern und interessierten
Menschen rund um das Thema rituelle Gewalt ist mir sehr wichtig, denn ich verstehe die
Zurückhaltung oder sogar das Verneinen solcher Themen. Deshalb tut es gut, persönlich
darüber zu reden.

Allerdings bin ich nicht hier, um die Menschen zu überzeugen. Es geht mir nicht darum,
möglichst viele Zuhörer zu gewinnen, die mir glauben. Ich spreche, um die Wahrheit zu
sagen und zu erklären, was ich erlebt habe. Ich tue es für die Gesellschaft – nicht für mich
selbst, denn ich kenne die Realität bereits.

Falls jemand von euch daran interessiert ist mit mir einen Vortrag über rituelle Gewalt zu
organisieren, bin ich gerne bereit mit euch in Kontakt zu treten. Am besten erreicht man
mich über E-Mail: info[at]chantalfrei.com oder über meine Webseite: www.chantalfrei.com
Es gibt noch eine weitere Tür, die Verbindungen zur Westschweiz, nach Frankreich und
Belgien schafft:

ESSENTIEL.NEWS / VORTRÄGE AUF FRANZÖSISCH

Hinter Essentiel.News steht ein ganzes Team, welches ich in den letzten Monaten
kennenlernen durfte. Sie geben nicht nur dem Film „Les SURvivantes“ eine Stimme, sondern auch mir persönlich als Überlebende ritueller Gewalt. Senta Depuydt, eine belgische
Journalistin und Leiterin von Essentiel.News, hat mich bereits mit mehreren Menschen im
französischsprachigen Raum in Kontakt gebracht, die mein Anliegen unterstützen, über
rituelle Gewalt zu informieren. Ich hatte die Gelegenheit, unabhängige Journalisten
kennenzulernen, Interviews zu führen und mich mit ihnen auszutauschen.

Ich habe bereits einige Termine, um auf Seminaren zu sprechen oder kleinere Vorträge zu
halten. Zudem werde ich immer wieder mal eingeladen um an kleineren Veranstaltungen zu
reden wie zum Beispiel diesen Sommer nach Genf. Dort fand am 30 Juli, um am jährlichen
Tag „STOP PÉDOCRIMINALITÉ“ eine kleine Demonstration statt und ich war eine der
Redner/innen.

Durch die Zusammenarbeit mit Essentiel.News habe ich auch weitere unterstützende
Menschen kennengelernt, wie zum Beispiel jemanden, der meine Webseite neu gestaltet hat
oder Menschen bei denen ich mal ein paar Tage entspannen durfte.
Ja, zum REDEN gehört nicht nur meine Stimme, sondern auch viele größere und kleinere
Arbeiten von mir und anderen. Wie ich immer gerne sage: Gemeinsam sind wir stark! Dafür
bin ich unendlich dankbar.

Letztendlich öffnete sich noch eine grosse Tür:

ZWEITES BUCH: ICH FRAGE

Ich hatte es im letzten Newsletter bereits angekündigt: mein zweites Buch! Seit dem 1.
Oktober ist es nun auf Amazon erhältlich, und darüber freue ich mich riesig. Ich hatte zwar
gehofft, dass es etwas früher veröffentlicht werden würde, doch es gab immer wieder
kleinere, wichtige Anpassungen, die ich einarbeiten musste, weshalb es nun Herbst
geworden ist.

Dieses Buch habe ich zwar geschrieben, aber es ist dennoch ein gemeinsames Werk. Andere
Betroffene, Therapeuten und Unterstützer von Betroffenen sind als Gastautoren dabei.
Wiederum haben mir einige ihre Erlaubnis gegeben, ihre Geschichten zu erzählen oder
Zeichnungen zu veröffentlichen. Ausserdem haben mir viele in verschiedener Form den
Freiraum gegeben, dieses Buch zu schreiben. Weitere Personen haben das Lektorat
übernommen und mir ergänzende Ideen mitgeteilt. Ich danke Ihnen allen von Herzen!
In meinem neuen Buch setze ich mich mit den Behauptungen von Skeptikern und Leugnern
der rituellen Gewalt auseinander. Punkt für Punkt gehe ich durch und antworte aus der
Perspektive einer Betroffenen darauf. Zum Beispiel behaupten Leugner, es gäbe keine
Beweise für unsere Aussagen, oder es gehe nur um Geld, oder dass es sich lediglich um
suggerierte (oder autosuggerierte) Erinnerungen handelt. Diese Themen nehme ich alle auf
und behandle sie in meinem Buch.

Es ist ein Buch, das man Skeptikern und Leugnern schenken kann, um danach, falls nötig,
weiter darüber zu debattieren. Gleichzeitig wirft es Fragen auf, die ich bewusst offenlasse,
sodass der Leser oder die Leserin selbst eine Antwort darauf finden kann.

Mit diesem Buch lade ich zu einem respektvollen Gespräch und Dialog ein. Ich bin sehr
gespannt auf die Reaktionen, die auf mich zukommen werden.

PRIVAT: DREI SCHWESTERN

Meine Entdeckungsreise geht weiter. Erinnerungen sind wie kleine Puzzleteile – oft eher
Mosaiksteinchen – die zusammengesetzt werden müssen. Daraus entstehen Bilder, in
meinem Fall Erkenntnisse. Fragen finden Antworten, Verletzungen der Vergangenheit heilen,
und zerbrochene Beziehungen blühen neu auf. In meinem ersten Buch „ICH REDE“ sprach ich darüber, wie ich mit meinen Geschwistern aufgewachsen bin. Damals nannte ich keine
Namen, um mich und sie zu schützen. Inzwischen bin ich meinen Geschwistern näher
gekommen und spreche, in Absprache mit ihnen, von meinen zwei Schwestern.

Gemeinsam haben wir den Weg zur Heilung unserer Beziehung eingeschlagen – einer
Beziehung, die vom Kult bewusst sabotiert wurde. Endlich lernen wir uns kennen und
entdecken uns, so wie es Gott sich gedacht hat: ehrlich und authentisch. Dafür brauchte es
viel Mut, und jede von uns musste sich auf ihre Weise zuerst vom Kult befreien. Nun können
wir zu dritt sanft und behutsam Puzzleteile zusammenfügen. Unsere Erinnerungen an die
Vergangenheit in der Kultfamilie sind nicht identisch, aber sie ergänzen sich und so können
wir einander unterstützen. Sollten wir jemals den Eindruck haben, dass wir gemeinsam
öffentlich darüber sprechen möchten, werden wir es tun. Ich bin Gott sehr dankbar, dass
meine Schwestern und ich diesen Weg der Heilung weiterhin gemeinsam gehen können.

Nun verabschiede ich mich in diesem Newsletter. Ich werde mich bemühen meine
Versprechungen, euch regelmässig zu informieren, einzuhalten. Während den letzten
Monaten habe ich, nebst dem Buch schreiben, viele Termine wahrgenommen und ich war
sehr oft unterwegs, Das Schreiben vom Newsletter ist dabei leider etwas in Hintergrund
geraten.

Von Herzen alles Liebe. Gott segnet euch!

Herzlichen Dank für eure Unterstützung, eure Gebete und eure Freundschaft.

Eure Chantal Frei